Change Management an Hochschulen: Erwartungen und Handlungsbedarfe
Eine Vorschau auf die Ergebnisse der Berinfor-Befragung 2019
Mehr als 400 Teilnehmende haben an der Befragung „Erfolgreiches Change Management an Hochschulen“ teilgenommen. Die systematische Steuerung von Change als Chance für Hochschulen halten über 50% von ihnen für einen kritischen Erfolgsfaktor nachhaltiger Veränderungsprozesse, besonders bei digitaler Transformation. Allerdings nehmen nur rund 13% der Befragten auch die Umsetzung in ihren Organisationen als angemessen professionell, transparent und ergebnisorientiert wahr. Oft kollidieren technokratisches Projektmanagement oder unklare Zieldefinitionen mit der hochschuleigenen Kultur von kritischer Reflexion und breiter Partizipation.
Digital gestützte Prozesse in Lehre, Forschung und Verwaltung stellt Hochschulen vor unvertraute Herausforderungen. Die Verbreitung von Lernplattformen, Campus Informationssystemen und papierlosen Vewaltungsabläufen hat vielerorts zu IT-Insellösungen geführt. Die Strategie- und Entwicklungsplanung erfordert aber eine zentrale Steuerung dieser Systeme, sowohl für Benutzerkomfort und transparente Prozesse als auch wegen der gesetzlichen Auflagen für Datenschutz und Online-Sicherheit. Risiken der Cyberkriminalität betreffen auch die Hochschulen.
Das Bewusstsein für strategisches „Change Management“ (dt. Änderungsmanagement) zog damit in die Hochschullandschaft ein. Dieser ursprünglich aus der Betriebswirtschaft stammende Begriff bezeichnet das kontinuierliche Anpassen der Strukturen einer Hochschule an veränderte Rahmenbedingungen ihrer Umwelt. Dazu gehören sämtliche Aktivitäten, die sowohl kurzfristig Abläufe optimieren als auch langfristig der nachhaltigen Veränderung von Praktiken ihrer Mitglieder dienen. Gemeint ist also mehr als technische Infrastruktur, formale Schnittstellen oder Organigramme: Erfolgreiches Gestalten von Veränderungsprozessen betrifft die gesamte Organisationskultur und versteht Change als Chance für Hochschulen.
Organisationsentwicklung muss Personalentwicklung mitdenken
Aber Hochschulen, selbst solche die sich als unternehmerisch verstehen, folgen anderen Regeln als Unternehmen. Das unkritische Übertragen von Managementmethoden scheitert oft an der hochschuleigenen Kultur von kritischer Reflexion und akademischer Freiheit. Der Kontext öffentlicher Verwaltungen bringt eigentümliche Anforderungen und zieht eingeschränkte Freiheitsgrade nach sich.
Berinfor hat deshalb in den vergangenen drei Monaten mehr als 400 Führungskräfte und Projektmitarbeitende im deutsch- und französischsprachigen Hochschulraum online befragt, wie sinnvoll das Konzept „Change Management“ in ihrer jeweiligen Arbeit ist. Welche Aspekte müssen berücksichtigt werden, damit Veränderungen in Hochschulen und hochschulnahen Einrichtungen erfolgreich umgesetzt werden können und nachhaltig Mehrwert stiften? Welche Massnahmen sind erfolgversprechend und welche Hindernisse gibt es?
Eine erste Sichtung der Befragungsergebnisse verweist auf gestiegene Erwartungen und zeigt konkrete Handlungsfelder für das Hochschulmanagement. Neben einer «stärkeren Abgrenzung konkreter Teilprojekte» und einer «ganzheitlichen Perspektive auf die Ziele der Organisation» wird vor allem die «Sichtbarkeit der angestrebten Ergebnisse» immer wieder eingefordert. Die einfache Verfügbarkeit digitaler Plattformen verleitet offenbar schnell zum „tool-getriebenen Aktivismus“. Der fortgesetzte Versuch, dem jeweils neuesten technologischen Trend hinterherzurennen, schafft aber bei denjenigen, die eigentlich von der Veränderung profitieren sollten, schnell Frustrationen, Überlastung und Widerstände.
Durchgängig betonen die Antworten aus Universitäten (38%), Fachhochschulen (41%), Pädagogischen Hochschulen (10%) und Bibliotheken (7%) als wichtige Voraussetzungen die sorgfältige Planung, die transparente Kommunikation und eine angemessene Ressourcenausstattung. Mehr als die Hälfte der Befragten (53%) sieht in professionell gesteuertem „Change Management“ einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren für nachhaltige Transformationsprozesse. (Hingegen verbinden nur etwa 10% mit dem Konzept nicht mehr als ein trendiges „Buzzword“). Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch auseinander. Ein angemessen durchdachtes und auf unterschiedliche Akteure der Hochschulen ausgerichtetes „Change Management“ – also Change als Chance für Hochschulen – erleben in der Praxis nur 13% in ihren eigenen Organisationen.
Sorgfältig planen, angemessen ausstatten, glaubwürdig bleiben
Die Teilnehmenden aus Schweizer (65%), deutschen (30%) und österreichischen (5%) Hochschulen verweisen über regionale und sprachliche Grenzen hinweg auf ungenügendes Stakeholdermanagement. Vorhandenes Erfahrungswissen in Verwaltung, Forschung und Lehre wird durch fehlende oder zu späte Einbindung der Beteiligten zu wenig berücksichtigt. Viele Projekte werden zu „kopflastig und zu wenig emotional“ angestossen. Mitarbeitende und Studierende vermissen die Glaubwürdigkeit, wenn „digital literacy“ auf der Führungsebene gefordert, aber von Entscheidungsträgern selbst nicht genügend „gelebt“ wird.
Veränderung in öffentlichen Bildungseinrichtungen „muss ergebnisoffen bleiben“ und „darf nicht Selbstzweck werden“. Nur wenn digitale Lösungen als Mittel für einen übergeordneten Zweck verstanden werden, also mit Blick auf „sichtbare Mehrwerte in der Qualität“ evaluiert werden, gelingt es auch alle Mitarbeitenden „abzuholen und mitzunehmen“. Für Hochschulen bedeutet das konkret, „flexiblere Lernangebote und Prüfungsformate“ zu ermöglichen sowie „Verwaltungsprozesse zu entbürokratisieren“. Bleibt im Ergebnis „mehr Zeit für die eigentlichen Aufgaben des wissenschaftlichen Personals“ dann ist auch die Bereitschaft für Veränderung vorhanden.
Jedoch versäumen selbst transparent arbeitende Projektmanager offenbar häufig, vorgängig die tatsächlichen Bedarfe aller Beteiligten zu erheben. Ein „Silodenken“ einzelner Fachbereiche und der „falsch verstandene Wettbewerb zwischen verschiedenen Organisationseinheiten“ werden als Hürden genannt. Enthusiastische „Change Ambassadors“ ermüden durch „hierarchischer Entscheidungswege“ sowohl top-down als auch bottom-up. Viele Betroffene fragen sich, warum werden „geeignete studentische Forschungsarbeiten“ nicht genutzt und warum fliessen die „good practices“ anderer Hochschulen nicht in die Projektierung ein?
Pluralismus, Partizipation und professionelles Know-How
Immer wieder verweisen die Antworten darauf, dass Wissenschaft „von Heterogenität lebt“ und auch „scheinbare Randgebiete“ berücksichtigt werden müssen – ein Kerngedanke des Berinfor Managementmodells für Hochschulen. Bewährte Strukturen und Praktiken lassen sich nicht gut über einen technologisch standardisierten Kamm schneiden. „Mehrstufige Vernehmlassungen und umständliche Abstimmungsrunden“ beantworten dieses Problem aber nur unzureichend; vorgeschlagen werden stattdessen „strategische Koordination und Entscheidungsautonomie für Einzelprojekte“.
Schliesslich erinnern die Befragten daran, dass nachhaltige Veränderung nicht zum „Nulltarif“ oder „neben dem regulären Pensum“ der Mitarbeitenden zu haben ist, wenn Change als Chance für Hochschulen verstanden werden soll. Neben ausreichendem zeitlichen Vorlauf sowie der transparenten Kommunikation im Prozess werden als wichtigste Erfolgsfaktoren für „Change Management“ deshalb die angemessene Ausstattung mit Finanzen, Kapazitäten und Know-How genannt, gefolgt von einer klaren Rollendefinition für die Prozessbeteiligten und begleitende Unterstützung – etwa durch Dokumentation, Schulungen oder Workshops für Mitarbeitende. „Personalentwicklung statt Personalverwaltung“ bringt ein Teilnehmer dieses Bündel von Wünschen auf eine griffige Formel.
Die Berinfor-Befragung „Veränderungen in Hochschulen erfolgreich gestalten“ endete am 30. Juni 2019. Die vollständige Auswertung der Befragung 2019 könnne Sie hier als PDF herunterladen.